„Der richtige Zeitpunkt“: Merle Lampe beendet Bundesliga-Karriere im Sommer

Handball-Bundesligist VfL Oldenburg muss ab der nächsten Saison auf seine Kapitänin verzichten. Rückraumspielerin Merle Lampe beendet nach der laufenden Spielzeit ihre Karriere. Bereits mit ihrem Wechsel 2020 in der Huntestadt avancierte die mittlerweile 30-Jährige zur Führungsspielerin beim VfL, wurde in der Saison 2022/23 Torschützenkönigin der Bundesliga. Seit 2022 führt sie den VfL Oldenburg als Kapitänin auf das Spielfeld.

Dienstag, 25. Februar 2020: In einer Pressemitteilung gibt Handball-Bundesligist VfL Oldenburg die Verpflichtung der 25-jährigen Rückraumspielerin Merle Carstensen bekannt. In der Saison zuvor ist sie mit über 100 Treffern zur besten Feldtorschützin der 2. Liga gekürt worden, bei ihrem Verein TSV Nord Harrislee ist sie längst absolute Führungsspielerin. Auch deshalb spricht man im Verein von einem „wichtigen Baustein in der Kaderplanung“. Welcher Glücksgriff den Oldenburger Verantwortlichen mit der Vertragsunterschrift damals gelungen ist, kann damals aber noch niemand so wirklich erahnen…

Dezember 2024: Während die Handball-Europameisterschaft der Frauen in Ungarn, Österreich und der Schweiz stattfindet, befinden sich die Handballerinnen des VfL Oldenburg unter Coach Niels Bötel in der Vorbereitung auf die nächste Saisonphase, die ab dem 22. Dezember ansteht. 9:5 Punkte haben die Oldenburger Handballerinnen in den ersten sieben Saisonspielen gesammelt, stehen auf einem starken fünften Tabellenplatz. „Wir können sehr zufrieden sein mit dem Saisonauftakt“, sagt Merle Lampe: „Wir haben schon einige Punkte geholt, mit denen man so nicht gerechnet hat und haben dabei gezeigt, dass wir mittlerweile auch in der Crunchtime da sind, um uns die Punkte zu sichern.“ 37 Tore hat Lampe in dieser Spielzeit bereits beigesteuert, gehört damit ligaweit zu den Top5-Spielerinnen. Wieder einmal glänzt die Oldenburger Rückraumspielerin mit Toren und Assists (20), ist darüber hinaus Führungsspielerin des Bundesligisten – und führt die Mannschaft als Kapitänin aufs Spielfeld. Merle Lampe ist kaum noch wegzudenken in der Huntestadt, geht auch in den aktuellen Trainingseinheiten voran. Und doch ist dieser Tage etwas anders. Diese Saison wird die letzte in der Bundesliga-Karriere von Merle Lampe sein.

Es ist ein Traum, der für Merle Lampe im Februar 2020 in Erfüllung. „Das Abenteuer Bundesliga wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen“, erinnert sie sich an die Gespräche mit den Oldenburger Verantwortlichen. 2014 war sie mit dem TSV Nord Harrislee aus der 2. Bundesliga abgestiegen, kehrte nach vier Spielzeiten in der 3. Liga zurück – und machte hier mehr und mehr auf sich aufmerksam. Nach der Vertragsunterschrift im Februar zieht sie im Sommer aus Schleswig-Holstein in die Huntestadt. „Für mich war das Ziel, in der Mannschaft anzukommen, meine Spielanteile zu bekommen und dann schauen, wo es hingeht. Ich bin da reingegangen, ohne mir große Gedanken zu machen.“

Viele Gedanken, die hat sich Merle Lampe auch in den vergangenen Wochen nicht gemacht – nicht mehr. „Die Entscheidung, meine Karriere zu beenden, steht für mich schon länger fest“, erzählt sie. Bereits bei der Vertragsverlängerung im vergangenen Jahr sei das Szenario ein Thema gewesen, die endgültige Entscheidung dann im Sommer gefallen. „Ich habe das Gefühl, dass das für mich der richtige Zeitpunkt ist“, sagt Lampe: „Ich hatte so viele tolle Momente mit dem VfL. Natürlich möchte man im Sport immer noch etwas mehr erreichen. Da stellt man sich aber die Frage, was da eigentlich noch kommen könnte. Und das ist bei mir nicht mehr viel, wenn man realistisch ist.“ Vielmehr hielten die vergangenen viereinhalb Jahre bereits unzählige Momente bereit, mit denen sie bei ihrem Wechsel selbst wohl kaum gerechnet hat.

Vieles ist neu für Merle Lampe, als sie beim VfL Oldenburg startet. „Ich weiß noch genau, dass mir Niels Bötel gleich beim ersten Testspiel das Vertrauen geschenkt hat und ich von Beginn an spielen durfte“, erinnert sie sich. Dazu wird Lampe von der Mannschaft zur Co-Kapitänin gewählt. „Dass mir die Mädels gleich so ein Vertrauen schenken, damit hatte ich nicht wirklich gerechnet.“ Ihr Bundesliga-Debüt gibt Lampe am 6. September in der kleinen EWE Arena gegen den TuS Metzingen – gegen den die Oldenburgerinnen mit einem furiosen 26:25-Erfolg gleich am ersten Spieltag für eine dicke Überraschung sorgen. „Wir haben damals mit einer frisch formierten Mannschaft großartig gespielt. Dieses Spiel bleibt für mich definitiv in Erinnerung“, sagt Lampe, die in ihrem ersten Bundesligaspiel vier Tore erzielt.

Dieser Sieg gegen Metzingen ist für Merle Lampe so etwas wie der Startschuss zu einer Erfolgsgeschichte beim VfL Oldenburg. Auf Anhieb ist sie im Oberhaus angekommen, avanciert bereits in ihrer ersten Saison zur besten VfL-Torschützin. Dreimal in Folge nimmt sie mit den Oldenburgerinnen am Final4 um den DHB-Pokal teil, schafft mit dem Team 2022 den Finaleinzug und wird als beste Torschützin des Final4 ausgezeichnet. In der Bundesligasaison 2022/23 wird Lampe mit 172 Treffern Top-Torschützin der Bundesliga, führt den VfL auf Tabellenplatz vier – und damit zum zweiten Jahr in der European League in Folge. Als Nachfolgerin von Julia Renner wird sie zudem zur Kapitänin der Mannschaft gewählt.

„Dass das alles so passieren würde, damit hätte ich niemals gerechnet“, ist Lampe noch heute ein wenig sprachlos. Besonders in Erinnerung sind ihr die Viertelfinalspiele, die zum Einzug ins Final4 geführt haben. Dazu kommen der Pokal-Halbfinalsieg gegen den Buxtehuder SV 2022 und das Eröffnungsspiel zur Saison 2024/25 gegen die Sport-Union Neckarsulm, als die VfL-Handballerinnen vor 5.412 Zuschauerinnen und Zuschauern in der ausverkauften großen EWE Arena aufliefen. „Ich bin extrem dankbar für das, was ich in fünf Jahren beim VfL erleben durfte“, sagt Lampe: „Das ist etwas ganz Besonderes in der Bundesliga, solch ein Umfeld, solch eine Mannschaft zu haben. Ich hätte es mir niemals schöner erträumen können. Dafür bin ich sehr dankbar.“

„Wie Merle als Kapitänin diese Mannschaft zusammengehalten hat und durch schwierige Phasen, aber auch Erfolgserlebnisse geführt hat, spricht für sie als Mensch, als Charakter“, sagt VfL-Geschäftsführer Andreas Lampe: „Sie ist immer vorangegangen, wir konnten uns immer zu 100 Prozent auf sie verlassen, ganz egal ob auf oder neben dem Spielfeld.“ Mit ihrem Karriereende werde die Kapitänin eine große Lücke hinterlassen. „Wir wissen, dass wir sie nicht Eins-zu-eins ersetzen können, weder sportlich noch menschlich. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir das als Team gemeinsam auffangen werden“, betont Andreas Lampe: „Wir sind stolz, dass wir den Weg mit ihr gehen durften, und ich bin mir sehr sicher, dass Merle auch nach der Karriere für den Verein da sein wird – in welcher Rolle auch immer.“

Ein halbes Jahr ihrer Bundesliga-Karriere steht Merle Lampe aber noch bevor. Und: Damit diese einen erfolgreichen Abschluss findet, arbeitet sie aktuell mit dem gesamten Team noch einmal daran, sich bestmöglich auf die bevorstehenden Aufgaben vorzubereiten. „Wir können uns voll und ganz auf die Bundesliga konzentrieren“, ist sich die Rechtshänderin bewusst: „Das Erreichen der Playoffs ist ein Ziel, dessen Anspruch wir mittlerweile haben dürfen. Jetzt gilt es, uns hierfür eine möglichst gute Ausgangssituation zu verschaffen.“ Die Playoff-Konstellation macht dabei auch den Abschied ein wenig unberechenbar. Welches ihr letztes Bundesligaspiel für den VfL sein wird, das wird bei Anpfiff wohl noch niemand wissen. Es ist ein wenig so, wie damals bei der Verpflichtung von Merle Lampe im Februar 2020. Damals wusste wohl kaum jemand, welch Erfolgsgeschichte mit der Vertragsunterschrift in Oldenburg ihren Lauf nehmen würde…